Sonntag, 22. März 2015

Poverty in Vancouver

GERMAN VERSION (English version below)

Auf diesem Blog zeige ich euch normalerweise nur die schönen Seiten von Vancouver. Bilder der atemberaubenden Natur, der Strände oder ein wenig Grossstadtromantik. Doch heute möchte ich auch einmal eine Schattenseite von Vancouver aufzeigen und dass auch hier nicht alles perfekt ist.

Armut kann man nicht mit einem Wort definieren. Armut kommt in verschiedenen Dimensionen und jeder Mensch hat seine ganz eigene Definition. 

Viele Menschen kämpfen weltweit ums Überleben, täglich stellen sie sich die Frage: Was esse ich heute? Kann ich meine Kinder weiterhin versorgen?
Doch im Westen haben wir eine gewisse Ignoranz, vielleicht auch Arroganz entwickelt, der sich viele überhaupt nicht bewusst sind. Wie oft habe ich schon den Satz "Ach, das ist ja günstig" von mir gegeben und im gleichen Moment wurde mir schmerzlich bewusst, dass dieser Preis für andere Menschen ein grosses Opfer bedeutet, eine Investition.

Vancouver Public Library

Während ich das schreibe, sitze ich in der Vancouver Public Library, einem wunderschönen, imposanten Gebäude in der Mitte der Stadt. Der Computer-Zugang hier ist gratis für jedermann. Nun sitze ich also hier, umgeben von Obdachlosen. Da rümpft doch schon mal einer die Nase. Man lässt sich über den Geruch, das Aussehen und die Kleidung aus. Doch ist Internetzugang, Bildung und Wissen ein beschränktes Gut für die Mittel- und Oberklasse? Sollte nicht jeder von den tausenden von Büchern und dem Onlinezugang profitieren können?
Man könnte meinen Kanada ist ein Land, das wenig von Armut betroffen ist. Man verbindet das Land kaum mit Überlebenskämpfen, Obdachlosen und Armut. Doch leider habe ich in meinem Leben noch nie so viele obdachlose Menschen wie hier in Vancouver gesehen.
Die Hauptstrasse der Stadt, die Granville Street, ist voll mit Clubs, Geschäften und kleinen Restaurants. H&M hat hier sein Geschäft, genau so wie Starbucks, adidas und Old Navy. Doch die Granville Street hat zwei Gesicher. Gleich neben den Geschäften reihen sich Schlafsack an Schlafsack, auf dem Weg zum Shoppen oder in den Ausgang stöckelt man an den Obdachlosen der Stadt vorbei.

Ein kurzer Fussmarsch entfernt von der Granville Street liegt der Oppenheimer Park. Doch der Oppenheimer Park ist nicht einfach ein Park. Der Park ist die Heimat vieler Obdachlosen, er ist voll mit Zelten, die für viele das einzige Dach über dem Kopf bedeutet. Der Oppenheimer Park zeigt die traurige Tatsache auf, dass die Wohnungspreise in Vancouver viel zu teuer sind. Bei einem Mindestlohn von 10,25 Dollar (das entsprechen etwa 7.5 Franken oder 7,1 Euro), sind die Wohnungspreise mit Zürich zu vergleichen.

Source: Vancouver courier

Als ich den Park zum ersten Mal sah, blieb mir der Mund offen stehen. Diese Hoffnungslosigkeit schockierte mich. 
Der Bus fuhr weiter, doch die Umgebung ändert sich kaum. Kurz vor dem Oppenheimer Park ist die berühmte und berüchtige Ecke East Hastings und Main Strasse. Diese zwei Blocks sind in der Hand der Obdachlosen. Auch hier liegen Schlafsack an Schlafsack. Der Unterschied: Kein Mensch läuft hier entlang, wenn er nicht unbedingt muss. Die Touristen werden diesen Ort kaum zu Gesicht bekommen. Die Häuser sind heruntergekommen, das Einzige, was hier funktioniert, sind die Suppenküchen.


Neulich habe ich mit einem Obdachlosen gesprochen. Patrick war sein Name. Er erzählte mir, dass das Community Center in der Nähe am Family Day (das ist hier ein Feiertag) Essen verteilt und für drei Dollar auch Socken. Bei diesem Mistwetter brauche er unbedingt neue Socken, seine alten seien schon völlig durchnässt. Am Ende unseres Gespräches gab ich ihm mein Münz, auch wenn es nicht viel war, wollte ich doch einen Beitrag an ein neues Paar Socken leisten.
Mit dieser Geschichte will ich mich nicht brüsten, dass ich einem Obdachlosen geholfen habe, sondern diesem ganzen Post einen Namen und eine Geschichte geben: Patrick. Er war unglaublich freundlich, interessiert, keines Falls abstossend.
Die Obdachlosen hier in Vancouver sind keine kriminellen und gewalttätigen Menschen. Nein! Die Stadt ist trotz der vielen Obdachlosen unglaublich sicher und auch die Gegend um East Hastings oder dem Zeltpark ist nicht gefährlich. Man wird zwar an jeder Ecke der Stadt um Geld angebettelt, doch die Menschen sind kaum wütend oder aggressiv.
Die Obdachlosen hier haben vor allem ein grosses Problem: die Drogensucht. Was viele Touristen, vor allem jene aus Amerika, unglaublich toll finden, ist für diese Menschen das grosse Übel. Vancouver hat eine unglaublich lockere Drogenpolitik, Kiffen ist quasi legal, Marijuana kann man ganz offiziell kaufen. Das sieht man den Obdachlosen leider auch an. Viele sind zerfressen von den Drogen, die Abhängigkeit hat sie voll im Griff.


Diese Umstände hier haben mich geprägt. Natürlich habe ich mein Shoppingverhalten und meine Prioritäten nicht von heute auf morgen geändert, weil ich hier plötzlich mit Armut konfrontiert werde. Nein, so ehrlich muss ich sein. Trotzdem wurde ich mir wieder einmal bewusst, wie glücklich ich mich schätzen kann und das dieser kleine Luxus vom Auslandsjahr, einer Ausbildung und einem Dach über dem Kopf keinesfalls selbstverständlich ist. Vor allem als Schweizerin wird man mit Armut kaum konfrontiert, wir bewegen uns oft in unserer eigenen Blase, wobei sich alles um Finanzmärkte, Lohnerhöhung und Luxusurlaub in Punta Cana dreht. Dieser Post soll diesen Umstand nicht verhöhnen oder schlecht machen, ich will auch nicht mit dem Finger zeigen. Trotzdem schadet es uns allen nicht, manchmal ein wenig dankbarer durchs Leben zu gehen und vielleicht auch hin und wieder ein Stück unseres Kuchens abzugeben. Schlappe 80 Cent hat es mich gekostet, dass Patrick neue Socken kaufen kann. 80 Cent, die mir heute nicht fehlen, aber für Patrick bedeuteten sie ein neues Paar Socken. Die kleinen Dinge machen den Unterschied!

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ENGLISH VERSION

Normally I just talk here about the beautiful sides of Vancouver. The unbelievable landscape, the beaches and some city pictures. But today, I want to talk about something serious to show you that not everything here is perfect.

Poverty can't be defined in one word. Poverty has different dimensions and every human being defines it in a different way.

Many people worldwide fight for their survival, everyday they have to ask themselves: What do I have to eat today? How can I feed my kids?
In the Western world, people adapted a certain ignorance and arrogance which most of the people are not even aware of. How many times did I say "Oh, this is so cheap!" and then I suddenly realized that it is cheap for me but for other people it means a lot, a real investment.

Vancouver Public Library
While I'm writing these sentences, I'm sitting in the Vancouver Public Library, a wonderful and huge building in the middle of the city. The access to the computers is available for everybody. So, I'm sitting here, surrounded by some homeless people. A situation that many people wouldn't accept. They won't say anything, but they will give them a look. But is internet access something that should be limited to the middle- and upper class? Shouldn't it be a benefit for everybody to access books and internet?

Most of the people don't build up a connection between Canada and poverty. Fighting for your survival, homelessness and poverty, that just doesn't sound like Canada for a lot of people. But unfortunately, I've never seen as many homeless in a city as I do every day here in Vancouver. The main street of Vancouver, Granville Street, is full of nightclubs, shops and small restaurants. H&M has a store here, Starbucks, adidas and Old Navy. But Granville Street has two faces. Next to all these stores, people are sleeping on the street, the street is actually called their home. While we are flouncing to one of the nightclubs, we pass a dozen homeless people.


A little walk away from Granville Street is a park called Oppenheimer Park. It's not just a park. Oppenheimer is the home for a huge number of homeless people. It is a tent city in the middle of Vancouver. For many people this is the only place where they have a roof over their heads. The Oppenheimer Park is a symbol for the incredible apartment prices here in Vancouver. The minimum wage in British Columbia is 10.25 Dollar and the price for an apartment, even if you just want to rent it, can be compared with Zurich.

When I saw the park for the first time, I was shocked. The despair of this park is incredible. The bus went on, but the following area didn't get better. The famous East Hastings and Main Street block in Vancouver is mainly dominated by homeless people. The sidewalks are covered with sleeping bags and the houses are in a very bad state. Not many people walk around in this area. Tourists probably never see this area. The soup kitchens here are incredibly busy.

A couple of days ago, I talked to a homeless called Patrick. He told me about the Community Center that gives away food on Family Day (an official holiday here in B.C) and socks for three dollars. These days it is raining heavily in Vancouver and Patrick told me, he really needs new socks, his old ones are too wet. At the end of our talk, I gave him my coins, not much but at least a little bit to get some new socks.
I don't tell you that story to put a good light on myself. No! This story should give this post and this topic a name and some humanity: Patrick. He was a really nice guy.
The homeless people here in Vancouver are mostly nice and not really aggressive. Vancouver is still a very safe city even though you get asked for money at every corner.

There is one big problem that a lot of homeless people here have: drug addiction. For a lot of tourists the drug politics of Vancouver is great and a reason for a visit but for the homeless it means a lot of suffer. Weed is almost legal and it can be bought all over the city. Unfortunately this means for many  people on the street a terrible addiction. A lot of them are marked by the drugs.


The circumstances here in Vancouver made me think and changed something inside of me. I didn't change my shopping behavior and my priorities. No, I have to admit, I didn't. But I realized once again how privileged I am. Studying abroad, getting an education and having a roof over my head is not self-evident. Especially in Switzerland we don't face poverty as much as others do. We live in our bubble and worry about banking centers, wage increases and vacations in Punta Cana. This post shouldn't blame us for that, I don't want to point fingers. I just want to you to be aware of your luck and maybe that you share it sometimes with other people who have less. I gave Patrick 80 cents for his socks and I don't miss these 80 cents. But for Patrick it meant that he gets new socks. Small things can make a difference!



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